Zwischen

…Masken und Authentizität…
…Zuversicht und Zweifeln…
…Vertrauen und Vorsicht…
…Hoffnung und Enttäuschung…
…Kraft und Zorn…

 

Nachdem ich in dem vorhergehenden Artikel erzählt hatte, dass mir nach der letzten telefonischen Absage die Tränen kamen, habe ich mich gefragt, was wirklich dahinter steckte. War es nur die enttäuschte Hoffnung? Das enttäuschende Gefühl doch fast am Ziel gewesen zu sein?

Ich ließ die Situationen und Bilder Revue passieren, wie ich das Gespräch annahm, wie mir bereits nach den ersten höflichen Worten klar wurde, dass dieser Anruf auf eine Absage hinauslaufen würde, wie ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und wie mir die Tränen über die Wange liefen, nachdem ich aufgelegt hatte.

Aber auch andere Situationen aus den vergangenen Wochen zogen vor meinem inneren Auge vorbei.
Wie in einem der Bewerbungsgespräche im Gesicht des Geschäftsführers förmlich zu sehen war, dass er mich schon abgehakt hatte. Die unbeteiligten Blicke der übrigen Mitglieder des Auswahlgremiums, die die Haltung ihres Chefs ebenso gelesen hatten. Im Gegensatz dazu eine Mitarbeiterin, die im Flur, auf dem ich vorher wartete, zweimal vorbeiging, beim zweiten Mal umdrehte, auf mich zukam und mir aufrichtig viel Glück wünschte.
Die Vertraulichkeit, die entstand, als ich bei Rundgängen oder Hospitationen Mitarbeitern vorgestellt wurde und sie bei ihrer Arbeit begleitete, und die mit einer Absage wieder weggefegt wurde.

In Bewerbungsgesprächen wird in der Regel erwartet, dass man sich zeigt, sich präsentiert, dass man herausstellt, warum man von allen am besten geeignet ist für diese Stelle, warum man gerade dort arbeiten möchte. Fachkompetenz, Konfliktfähigkeit, Führungsstärke und anderes soll man beweisen. Die Schwächen, die jeder von uns hat, will man nicht so gerne sehen.
Ich habe (durch ein wenig Glück) in meinem Beruf sehr besondere Erfahrungen sammeln können und bringe sehr viel mit. Doch ich habe auch einen Bruch in meinem Lebenslauf und ein Handicap. Wie geht man damit um? Ich halte es für den besten Weg, offen und ehrlich zu sein. Mir begegnen in meinen Gesprächen leider nur wenige Menschen, die dies schätzen. Viele können damit nicht umgehen, reagieren mit unbeholfener Betroffenheit oder Unverständnis. Und dann gibt es diejenigen, die eine Erkrankung und ein Handicap als Schwäche ansehen und auf (in ihren Augen) Schwache herunterschauen.
So geht es für mich um mehr, als mich gut zu präsentieren. Woran erkenne ich, was für ein Mensch mit gegenübersitzt? Wie wird er oder sie reagieren? Wieviel sollte ich zeigen und ab wann muss ich mich schützen? So muss ich mich in jedem Gespräch entscheiden zwischen Masken und Authentizität, zwischen Vertrauen und Vorsicht.

Es geht für mich auch um mehr, als nur eine neue Arbeit. Es geht nicht nur darum, in das Berufsleben zurückzukehren. Es geht darum in mein bisheriges oder in ein dem ähnlichen Leben zurückzukehren. Es geht darum, die Armut zu überwinden, die Voraussetzung dafür zu bekommen, mir eine neue Wohnung zu suchen, die Sorgen und Nöte hinter mir zu lassen. Es geht darum in ein normaleres Leben zurückzukehren.
Sieht man mir das an? Würde man darin eine (nicht gern gesehene) Bedürftigkeit erkennen? Spürt man die großen Hoffnungen, die ich mit jeder Bewerbung verbinde und den existenziellen Druck, unter dem ich stehe? Wäre es denn in Ordnung, wenn man dies sieht? Sollte ich es besser verbergen?
Am Ende eines der Gespräche sagte mir ein Gegenüber: Ich verstehe es nicht, dass sie so lange eine Arbeit suchen und anscheinend so häufig abgelehnt werden. Ihre Qualifikation ist herausragend und sie haben sich sehr gut dargestellt (doch auch er hat sich für jemand anderen entschieden). Ich konnte in diesem Gespräch glänzen, man schätzte meine Offenheit im Umgang mit meinem Handicap. Dies schaffte überhaupt erst Raum Kompetenzen und Potenziale zu erkennen. Doch nach dem Gespräch fragte ich mich in Gedanken: Wie hätte man mich wohl gesehen, wenn man wüsste, dass ich wohnungslos bin und aus dem Koffer lebe?
Es geht für mich um so viel mehr, dass Hoffnung und Enttäuschung, dass Zuversicht und Zweifel dicht beieinander liegen.

Ein Thema in meinen Vorstellungsgesprächen ist meist auch die Frage, ob eine Einstellung durch Zuschüsse gefördert werden würde. Wahrscheinlich ja, aber…
Ich gebe in meinen Bewerbungsgesprächen keinen Einblick, was sich hinter dieser Frage verbirgt. Der jahrelange Kampf um eine Förderung mit der Rentenversicherung und der Arbeitsagentur, die irrsinnigen Verfahren vor den Sozialgerichten. Dies erinnert mich an die Kraft, die es mich kostet und der Zorn, den es hervorruft. Das Bewusstsein über diese Anstrengungen lassen mich meine Müdigkeit spüren.

Dies alles (und möglichweise noch etwas mehr) steckt hinter den Tränen…
und löst sich zum Glück auch mit ihnen…

 

Ein Gedanke zu “Zwischen

  1. Toller Blog, sehr realitätsnahe! Ich bin selbst langzeitarbeitslos, kann aber durch diverse Community Aktivitäten einiges an Geld einsparen – und leiste dadurch auch einen ökologischen Beitrag – Ideen dafür hab ich aus dem Buch „Trotz Langzeitarbeitslosigkeit sinnvoll tätig sein“ von Karl Stickler bekommen. Vielleicht eine Anregung auch für Sie?

    Josef

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