Ausschluss inklusive

Ich fand wenige Monate nach meiner Kündigung eine neue Arbeit. Ich wurde Leiter eines Projektbüros, welches den Auftrag hatte, in allen möglichen Bereichen oder Gruppen in unserer Gesellschaft zu erklären, was Inklusion ist. Und wir sollten mit diesen Gruppen gemeinsam überlegen, wie wir Inklusion erreichen.
Wir haben verschiedenste Institutionen und Organisationen des gesellschaftlichen Lebens angesprochen, Kindergärten, Schulen, Jugendverbände, Sportvereine, soziale Verbände, Wirtschaftsverbände, Arbeitgeber, Gewerkschaften… Finanziert wurde dies von unserem Sozialministerium. Grundlage ist die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, die seit ihrer Ratifizierung im Jahr 2009 in Deutschland gilt.

Und was heißt das, Inklusion?

Der Begriff geht zurück auf die UN-Konvention und wird dort mit „inclusion in society“ umschrieben.
Inklusion ist ein Konzept, ein Modell oder auch eine Vision für das Zusammenleben aller Menschen in unserer Gesellschaft. Inklusion bedeutet, dass niemand von der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Inklusion bedeutet, dass jede und jeder immer und überall selbstverständlich dazugehört, völlig unabhängig von seinem Alter, seiner Herkunft, einer Erkrankung oder Behinderung oder sonst einer persönlichen Eigenschaft. Inklusion bedeutet, dass nicht die oder der Einzelne sich an die Gesellschaft anpassen muss, sondern dass unsere Umgebung und unsere Gesellschaft so gestaltet wird, dass alle Menschen daran teilhaben können.
Unsere Aufgabe bestand daher darin, mit anderen zu überlegen: Wie müssen z.B. Schulen gestaltet sein, damit alle Kinder sie besuchen können? Was können Sportvereine tun, um sich für alle Menschen zu öffnen? Was können Wirtschaft und Arbeitgeber tun, um auch Menschen mit Einschränkungen eine angemessene, qualifizierte Tätigkeit bieten zu können?

Richtig toll eigentlich, insbesondere für einen Menschen mit einer chronischen Erkrankung. Ich habe diese Arbeit gerne und aus Überzeugung gemacht.

Nur, auch in unserem Büro gab es Laserdrucker und Kopierer. Derartige soziale Projekte sind in der Regel nicht üppig finanziert. Das bedeutet, wir hatten keine großzügigen Räume, in denen wir getrennte Zonen schaffen konnten. Wir waren zudem in das Gebäude eines sozialen Verbandes integriert, auch in den anderen Abteilungen gab es Laserdrucker und Kopierer. Ich wurde also wieder krank.
Zwar hat man versucht, Lösungen zu finden. 1. Lösung, den Kopierer in einen getrennten Raum stellen. Leider war das sehr beengt und eine Kollegin, die auf einen Rollstuhl angewiesen war, kam nicht mehr richtig an den Kopierer. 2. Lösung, mich in die andere Etage umsetzen, wenig sinnvoll, da waren ja auch diese unangenehmen Geräte. 3. Lösung, ich wieder runter, Kopierer gegen Tintenstrahldrucker austauschen. Perfekt, leider waren meine Kollegen genervt, dass sie nun zum kopieren in eine andere Etage gehen mussten. Und leider gab es noch andere Schadstoffe in der Luft (wieder Formaldehyd, wie sich später herausstellte). Ich konnte somit unsere Büroräume nur eingeschränkt betreten. Ich habe Büroarbeiten zu Hause erledigt und wenn ich in der Geschäftsstelle war, habe ich in einem großen Sitzungsraum gearbeitet, den einzigen schadstofffreien Raum im Haus. Wenn er für Sitzungen oder Veranstaltungen gebucht war, ging das natürlich nicht.
Wie soll man ein Team leiten, wenn man die Büros der Mitarbeiter nicht betreten kann? Wie soll man ein Projekt leiten, wenn man in der Geschäftsstelle kaum präsent sein kann? Mir wurde daher nach fast 2 Jahren die Projektleitung entzogen und ich musste diese Arbeit zum Ende des Jahres 2011 aufgeben.

Unfassbar an dieser Geschichte finde ich, dass es in fast 2 Jahren nicht möglich war, mir als Leiter eines Inklusionsprojekts zu ermöglichen, in meinem Büro zu arbeiten. Heißt Inklusion nicht, dass ein Mensch mit einer Beeinträchtigung die Gegebenheiten nicht hinzunehmen hat? Heißt Inklusion nicht, dass die Umgebung so angepasst wird, dass der beeinträchtigte Mensch dazu gehört? Inklusion gilt für alle, für fast alle, halt nur nicht für den Leiter eines zentralen Inklusionsprojektes. Ausschluss inklusive.

Unfassbar finde ich auch, dass viele mit dem Thema Inklusion befasste und dafür verantwortliche Menschen meine Geschichte kennen, Menschen im Sozialministerium, in sozialen Verbänden, in Kommunalverwaltungen oder sozialen Einrichtungen.
Unsere Landeshauptstadt hat wie viele andere Kommunen ein Leitbild zum Thema Inklusion entwickelt und im Stadtrat verabschiedet.Ich habe neben vielen anderen daran mitgearbeitet und war Co-Autor für das Kapitel „Arbeit“, welch eine Ironie.

Ich habe bisher nicht gezielt darauf aufmerksam gemacht. Ich habe bisher noch niemandem laut gesagt, „wie kann das sein?“.
Ich habe immer gedacht, dass diejenigen, die Inklusion propagieren und mich ausgrenzen, doch selbst merken müssten, wie widersprüchlich das ist. Doch das können sie natürlich nicht. Sie müssten zugeben, dass sie einer Illusion folgen oder diese gar aufbauen.
Wenn ich frage „wie kann das sein?“, dann decke ich sie auf, diese Illusion. Das mag niemand gerne. Und die meisten würden mich eher diskreditieren und mit Dreck bewerfen, als wirklich offen über diese Frage zu reden. Deshalb schade ich mir wahrscheinlich selbst, wenn ich es tue. Aber jetzt sage oder schreibe ich wütend und laut: „Wie kann das sein?!

Viele ehemalige Kollegen und Projektpartner wissen, aus welchen Gründen ich meine Arbeit aufgeben musste. Sie drücken mir ihr Bedauern aus… und sonst…? Nichts.

2 Gedanken zu “Ausschluss inklusive

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