Die Verhinderungsbeauftragte

Ich habe eine E-Mail-Antwort der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung auf mein Schreiben vom 27.01.2017 erhalten. Diese Antwort ist derart oberflächlich und „abwimmelnd“, dass ich mich einer Rückmeldung nicht enthalten konnte, die ich hier im Wortlaut wiedergebe. Die komplette Mail der Behindertenbeauftragten (bzw. deren Mitarbeiterin) ist in meine Rückmeldung eingefügt (kursiver Text).
Vorsicht, etwas trockenerer Text mit Fachchinesisch und Juristerei…

 

Sehr geehrte Frau X,

es fällt mir schwer, Ihnen für Ihre Antwort auf mein Schreiben vom 27.01.2017 an die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung zu danken. Zeigt Ihre Antwort doch lediglich, dass Sie Sich mit meinem Anliegen gar nicht auseinandergesetzt haben, dieses in keiner Weise ernst nehmen und mit leeren Sätzen und Floskeln einfach abwimmeln.

Ich möchte auf Ihre Antwort im Einzelnen eingehen. Meine Anmerkungen füge ich direkt in die einzelnen Absätze Ihrer Antwort ein (Ihre Antwort ist in kursiver Schrift):

 

Von: Behindertenbeauftragte [mailto:buero@behindertenbeauftragte.de]
Gesendet: Montag, 13. März 2017 13:45
An: Y
Betreff: Ihr Schreiben vom 27.01.2017

Sehr geehrter Herr Y,

haben Sie vielen Dank für Ihre oben genannte Zuschrift an die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Verena Bentele. Frau Bentele hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.

 Sie bitten um einen Einsatz der Beauftragten bei der Anerkennung von Umwelterkrankungen als Behinderung und nennen diverse einzelne Ziele, die für Menschen mit Umwelterkrankungen von zentraler Bedeutung seien.

 Nach § 18 BGG hat die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass die Verantwortung des Bundes, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen, in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfüllt wird. Diese Aufgaben nimmt die Beauftragte allgemein wahr, das heißt, unabhängig davon, welche konkreten Diagnosen einer Behinderung zu Grunde liegen.

Wenn die Beauftragte ihre Aufgabe allgemein wahrnimmt, unabhängig von der konkreten Diagnose einer Behinderung, dann sehe ich sie in der Pflicht, sich auch für die Belange von Menschen mit Umwelterkrankungen einzusetzen.

Wie Sie meinem Schreiben entnehmen können, sind Umwelterkrankungen seit dem 01.03.2010 gemäß der geänderten Versorgungsmedizinverordnung als Behinderung anzuerkennen. Dies wird aber zum Schaden tausender Betroffener in der Praxis nicht umgesetzt. Für diese Menschen bestehen keine gleichwertigen Lebensbedingungen, weder gleichwertig gegenüber Menschen ohne Behinderung noch gleichwertig gegenüber anderen Menschen mit einer anerkannten Behinderung. Diese Gruppe Betroffener erhält, obwohl ihre Erkrankung kraft geltenden Rechts als Behinderung anzuerkennen ist, nicht die geringste Anerkennung und Unterstützung.

Die Beauftragte vernachlässigt somit ihren Auftrag, wenn sie sich nicht für die Belange von Menschen einsetzt, deren Behinderung eine Umwelterkrankung zugrunde liegt.

 

Sie bitten zum Einen darum, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei Menschen mit Umwelterkrankungen die notwendigen umweltmedizinischen Methoden bei Diagnostik und Behandlung übernimmt. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Wir bitten um Verständnis, dass die Beauftragte nicht selbst beurteilen kann, welche Leistungen im Einzelnen bei welchen Erkrankungen diesen Grundsätzen entsprechen. Insgesamt empfehle ich Ihnen, sich bei Anliegen zum medizinischen Versorgungsalltag an den Patientenbeauftragten zu wenden.

Ich habe in meinem Schreiben vom 27.01.2017 nicht nur dargestellt, dass Menschen mit Umwelterkrankungen umweltmedizinische Leistungen vorenthalten werden. Sie werden darüber hinaus psychiatrisiert, d.h. sie bekommen falsche psychiatrische Diagnosen. Damit werden sie zum einen stigmatisiert. Zum anderen erhalten sie völlig falsche Leistungen. Eine Umwelterkrankung ausschließlich mit Psychotherapie behandeln zu wollen (was die Rentenversicherung allen Ernstes vorschlägt) ist mit der Idee vergleichbar, einen gelähmten Menschen mit Psychotherapie das Laufen lehren zu wollen.

Im Ergebnis ist die gegenwärtige Praxis der Krankenversicherungen völlig unwirtschaftlich. Allein in meinem Fall sind der Versichertengemeinschaft durch vorenthaltene Leistungen der umweltmedizinischen Behandlung und vorenthaltene Leistungen der beruflichen Rehabilitation unnötige Ausgaben und entgangene Sozialversicherungseinnahmen von geschätzt 120.000 € bis 150.000 € entstanden. Diese wirtschaftlichen Belastungen hätten durch frühzeitige und der Erkrankung angemessene Hilfen vermieden werden können. Die von mir beantragten und mir seit 5 Jahren verweigerten Hilfen hätten lediglich Ausgaben von 12.000 € bis 15.000 € verursacht, also nur einen Bruchteil. Es gibt Fälle, in denen Betroffene noch deutlich länger um adäquate Hilfe kämpfen.

Wenn man das von Ihnen angeführte Maß „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ anlegt, dann sollten umweltmedizinische Diagnosen und Behandlungen zwingend und sofort in den Leistungskatalog der Krankenversicherungen aufgenommen und Umwelterkrankungen entsprechende des geltenden Rechts als Behinderung anerkannt werden. Rechnen Sie den wirtschaftlichen Nutzen nur einmal auf vielleicht 10.000 Fälle hoch (und es sind wahrscheinlich weit mehr), da landen Sie (je nach wirtschaftlichen Nutzen im Einzelfall) bei mehreren 100 Mio. € wenn nicht gar bei 1 Mill. € (100.000 x 10.000).

Vor dem Hintergrund, dass aufgrund von Umwelterkrankungen Behinderungen festgestellt werden sollten (siehe oben), ist das Versagen umweltmedizinischer Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung ein eindeutiger Verstoß gegen Art. 25 der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen (UN-BRK) und § 2a SGB V. Dies ist die eigentliche Kernaussage der Passagen meines Schreibens, die sich mit der medizinischen Seite von Umwelterkrankungen befassen. Hierauf sind Sie in keiner Weise eingegangen.

Sollte es nicht Aufgabe der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung sein, über die Einhaltung der UN-BRK zu wachen? Sollte sie nicht auf Verstöße gegen die UN-BRK hinweisen? Meines Erachtens ist dies Aufgabe der Beauftragten. Wenn Sie es für notwendig erachtet, bei der Umsetzung dieser Aufgabe die Patientenbeauftragte einzuschalten, sollte sie es tun. Doch es geht hier in erster Linie um eine Verletzung der UN-BRK, derer sich die Beauftragten annehmen sollte.
Die Monitoringstelle zur UN-BRK hat dies übrigens erkannt und meine diesbezüglichen Hinweise dankend aufgenommen (inwieweit sich hieraus tatsächlich Veränderungen ergeben, bleibt abzuwarten).

 

Ich habe in meinem Schreiben vom 27.01.2017 allerdings deutlich gemacht, dass die umweltmedizinischen Leistungen nur ein Teilaspekt meines Anliegens sind und dass ich vor allem sozialrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit der Anerkennung einer Behinderung in den Mittelpunkt stellen möchte.

Zu diesem – auch im schriftlichen Umfang – größeren Anliegen schreiben Sie lediglich die folgenden drei kurzen Absätze:

Des Weiteren erklären Sie es für erforderlich, Umwelterkrankungen grundsätzlich als Behinderung anzuerkennen und Menschen mit Umwelterkrankungen Leistungen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation zur Verfügung zu stellen.

Nicht ich erkläre es für erforderlich, dass Umwelterkrankungen grundsätzlich als Behinderung anzuerkennen sind. Es ist seit 01.03.2010 geltendes Recht in der Bundesrepublik Deutschland, dass Umwelterkrankungen bei ausreichender Schwere der Teilhabeeinschränkung als Behinderung anzuerkennen sind! Doch dieses Recht wird nicht oder so gut wie nicht umgesetzt!

Hier gibt es eine Querverbindung zum obigen Thema der Umweltmedizin. Wenn es Betroffenen in Einzelfällen gelingt, ihr Recht auf Anerkennung einer Behinderung durchzusetzen, dann in der Regel nur vor dem Hintergrund privat finanzierter umweltmedizinischer Diagnostik und darüber hinaus meist nur in einem mehrjährigen Weg über Rechtsmittelverfahren und Sozialgerichte.

Umwelterkrankte Menschen, die in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind, haben so gut wie keine Chance, ihr Recht auf Anerkennung einer Behinderung durchzusetzen, weil sie notwendige Untersuchungen nicht bezahlen können bzw. diese gar nicht zur Verfügung stehen.

Weiterhin stellen Sie dar:

Wie Ihnen bekannt ist, beziffert der Grad der Behinderung (GdB) bei Menschen mit Behinderung die Schwere der Behinderung. Für die Bemessung des GdB ist vor allem die tatsächliche Teilhabeeinschränkung durch die Erkrankung bzw. Behinderung maßgeblich. Bei der Beurteilung ist vom klinischen Bild und von den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. Maßgebend sind nicht die Diagnosen, sondern die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Ähnlich verhält es sich mit Leistungen der medizinischen und beruflichen Teilhabe. Eine Gewährung solcher Leistungen muss nach Ansicht der Beauftragten anhand der individuellen Notwendigkeit nach den entsprechenden Regelungen gerichtet werden.

Dadurch, dass auf Grundlage einer Umwelterkrankung entgegen des geltenden Rechts meist keine Anerkennung einer Behinderung erfolgt, werden den Betroffenen automatisch notwendige Leistungen zur Teilhabe verwehrt, obwohl diese definitiv individuell notwendig sind. Dies sind klare Verstöße gegen die UN-BRK.
Auch hier kommt die Monitoringstelle zur UN-BRK zu einer anderen Einschätzung als die Beauftragte für die Belange behinderter Menschen.

Sie stellen dar, dass bei der Beurteilung einer Einschränkung nicht nur die Diagnose und Funktionseinschränkung zugrunde zu legen ist, sondern vor allem die Auswirkungen im Alltag und die wechselseitigen Beziehungen zwischen der Einschränkung eines Betroffenen und seiner Umwelt.
So sollte es sein, doch auch diese Grundlagen werden in der Praxis nicht angewendet. In meinem Bescheid über die Feststellung eines GdB wird sogar darauf hingewiesen, dass Wechselwirkungen im Bereich des Arbeitslebens nicht berücksichtigt wurden. Hiergegen Rechtsmittel einzulegen, scheitert wiederum daran, dass ich es nicht finanzieren kann bzw. weitere umweltmedizinische Diagnostiken erforderlich wären.

In diesem Zusammenhang besteht eine Problematik, die ich in meinem Schreiben vom 27.01.2017 noch gar nicht angesprochen hatte:

Die Rentenversicherung legt für Ihre Beurteilung eines Anspruches auf Leistungen zur Teilhabe ausschließlich § 10 SGB VI zugrunde. Vergleicht man diesen im Wortlaut mit dem SGB IX fällt auf, dass die Rentenversicherung einen engeren Begriff der Behinderung verwendet. Sie betrachtet ausschließlich die gesundheitliche Beeinträchtigung einer Person und sie vernachlässigt die Wechselwirkungen zwischen der Beeinträchtigung einer Person und ihrer Umwelt, welche – wie Sie darstellen – ein wesentlicher Bestandteil im Begriff der Behinderung gemäß des SGB IX ist.

Die Rentenversicherung beruft sich dabei darauf, dass für sie auf Grundlage des § 7 SGB IX die spezialgesetzliche Regelung des § 10 SGB VI gelte. Cramer, Fuchs, Hirsch und Ritz schreiben in ihrem Kommentar zu § 7 SGB IX hierzu: „In der Verwaltungspraxis werden die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI als spezifische Zielsetzung der Rentenversicherungsträger vergleichbar den Rehabilitationszielen des §§ 1 und 4 Abs. 1 SGB IX diskutiert, aus der für die Rentenversicherungsträger nach § 7 S. 1 SGB IX das Recht auf abweichende Leistungsausgestaltung abgeleitet wird. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Zielbeschreibungen des § 4 Abs. 1 die Ziele der Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherung vollständig beinhalten und danach abweichende Regelungen im Recht der Rentenversicherung nicht gegeben sind. Die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI gestatten keine Anwendung des § 7 S. 1 SGB IX. Es handelt sich um Kriterien, die [lediglich] die Zuständigkeit der Rentenversicherung begründen […].“ (Cramer / Fuchs / Hirsch / Ritz zu § 7 SGB IX, RZ 16). Bezüglich der Beurteilung von Ansprüchen auf Leistungen zur Teilhabe gelte grundsätzlich das SGB IX (Cramer / Fuchs / Hirsch / Ritz zu § 7 SGB IX, RZ 9).

Es ergeben sich daher aus der Verwaltungspraxis vier Kategorien von Menschen mit Behinderung, die nicht gleich behandelt werden.

  1. Menschen mit Umwelterkrankung, deren Behinderung entgegen geltenden Rechts nicht anerkannt wird und
  2. andere Menschen mit Behinderung.

Quer dazu

  1. Menschen mit Behinderung, für die die Rentenversicherung zuständig ist und
  2. Menschen mit Behinderung für die andere Leistungsträger zuständig sind.

Ich muss sicherlich nicht darauf hinweisen, dass derartige Ungleichbehandlungen ebenfalls nicht im Einklang zur UN-BRK stehen. Am schlechtesten wird gestellt, wer den Kategorien 1 und 3 zuzuordnen ist.

 

Die Beauftragte wird das Thema des Umgangs mit Umwelterkrankungen und der (medizinischen) Versorgung von Menschen mit Umwelterkrankungen weiterhin aufmerksam begleiten, sieht aber aufgrund der vorhandenen Regellage keinen unmittelbaren, aktuellen Handlungsbedarf.

Hierzu ist anzumerken, dass die Beauftragte das Thema des Umgangs mit Umwelterkrankungen meines Wissens nach bisher gar nicht begleitet hat. Es wäre immerhin ein kleiner Schritt, wenn sie dies zukünftig tun würde.

Unverständlich ist, dass kein unmittelbarer und aktueller Handlungsbedarf gesehen wird. Es besteht grundsätzlich immer Handlungsbedarf, wenn wie hier in vielen tausend Fällen geltendes Recht nicht angewendet wird bzw. die Verwaltungspraxis derart vom geltenden Recht abweicht. Wenn sie hier keinen Handlungsbedarf erkennt, zeigt die Beauftragte, dass sie sich nicht für die Belange einer großen Zahl von Menschen mit Behinderung einsetzt und ihren Auftrag nicht wahrnimmt.

Nun, um dieses Urteil etwas abzumildern könnte man darauf verweisen, dass Sie Sich mit der Thematik und meinem Anliegen offensichtlich nicht wirklich auseinandergesetzt haben. Auch kein gutes, aber leider sehr offensichtliches Bild.

Mit freundlichen Grüßen

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