Das Des-Integrationsamt

Vom Amtsschimmel, einem neuen Berufsbild und selbständigen Denken

Erinnern Sie Sich? Nachdem die Rentenversicherung entgegen den Empfehlungen der Reha-Einrichtungen meinen Antrag auf Hilfen zur Wiedereingliederung in Arbeit abgelehnt hatte, habe ich verzweifelt Alternativen gesucht.
Eine mögliche Alternative war das Integrationsamt. Dieses kann in eigenem Ermessen Integrationshilfen vorläufig gewähren, wenn es die Leistungen als sinnvoll und notwendig erachtet. Das Integrationsamt hat dabei einen recht großen Spielraum, denn diese ‚Vorleistungsbefugnis‘ ist ‚uneingeschränkt‘. Aber es besteht kein Anspruch auf eine solche Vorleistung, es ist eine freie Entscheidung des Integrationsamtes.
Ich habe es halt versucht…

In einer ersten Antwort teilte mir das Integrationsamt mit, dass es nur in wirklich dringenden Notfällen in Vorleistung gehen dürfe. Ein solcher Notfall sei nur gegeben, wenn ein bestehendes Arbeitsverhältnis aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung konkret bedroht sei. Ich hätte kein Beschäftigungsverhältnis.
Man hat mich deshalb gebeten, meinen Antrag zurückzunehmen.

„Nanu“, dachte ich mir als erstes, „warum soll ich meinen Antrag zurücknehmen? Es ist doch eine freiwillige Leistung des Integrationsamtes, eine solche könnten sie doch einfach ablehnen. Trauen sie sich nicht abzulehnen?“
Dann habe ich mich gefragt, ob und wann denn ein Notfall bei einem arbeitssuchenden Mensch mit gesundheitlicher Einschränkung vorliegt. Nach 1 Jahr warten auf Integrationshilfen, nach 3 Jahren, nach 5 Jahren oder nie? Kann ein Mensch ohne Arbeit gar nicht in eine solche Notlage gelangen?
Im Jahr 2015 hatte ich ein befristetes Probearbeitsverhältnis. Mein damaliger Arbeitgeber hatte das Integrationsamt eingeschaltet und wollte Hilfen zur Sicherung des Arbeitsverhältnisses beantragen. Das Integrationsamt hat an die Rentenversicherung verwiesen und ein paar Monate später habe ich diese Arbeit wieder verloren. Warum ist das Integrationsamt da nicht in Vorleistung gegangen? Da hatte ich ja noch ein konkret gefährdetes Arbeitsverhältnis. Das das jetzt weg ist, ist keine Notlage?
Anstatt meinen Antrag zurückzunehmen stellte ich dem Integrationsamt diese Fragen. Zudem fragte ich schriftlich, ob man andere Alternativen sehe und bat um ein Beratungsgespräch.

Einige Zeit später erhielt ich dann ein zweites Schreiben mit dem Betreff ‚Sachverhaltsaufklärung‘. Man schrieb mir, die Darstellungen in meinem Antrag seien bisher bloße Behauptungen und ich solle zu deren Beleg entsprechende Unterlagen (ablehnende Bescheide, Gutachten, Entscheidungen des Sozialgerichts und ähnliches) schriftlich einreichen.
Gleichzeitig wies man mich noch einmal darauf hin, dass man keine Möglichkeit sehe, in Vorleistung gehen zu können und ich wurde nochmals aufgefordert, meinen Antrag zurückzunehmen.

Meine spontane Reaktion war nun nicht mehr ein fragendes „Nanu“, sondern ein eher genervtes „Oh Mann…“ (es ist wirklich ein männlicher Sachbearbeiter).
Ich versuche seit 5 Jahren Integrationshilfen zu bekommen, davon 3 Jahre über das Sozialgericht und es sind zwei Sozialversicherungsträger involviert. Soll ich die kompletten 2 Aktenordner, die dabei gefüllt wurden, kopieren und verschicken?
Wie wäre es einmal damit, mich zu dem von mir gewünschten Beratungsgespräch einzuladen? Dann könnte ich alles vorlegen und erläutern.
Und wieso lehnen die nicht einfach ab, wenn sie offensichtlich keine Unterstützung geben wollen?

Parallel habe ich eine Alternative entdeckt. Durch Zufall bin ich bei der Arbeitssuche im Internet auf ein Projekt gestoßen, welches in meinem Bundesland Menschen mit Behinderung Coachings in Bezug auf eine berufliche Orientierung und Unterstützung bei der Arbeitssuche anbietet. Ich war heute dort und habe mich beraten lassen. Total nett, zugewandt, unkompliziert. Man hat die Voraussetzungen geprüft (Schwerbehinderung muss vorliegen) und ich ging mit der Telefonnummer eines Coaches nach Hause und kann mich sofort bei diesem melden. Einfach klasse! Ich habe mich total gefreut.

Nun raten Sie einmal, wer dahinter steckt. Umgesetzt wird das Projekt vom regionalen Unternehmensverband. Finanziert wird es aber aus Mitteln der Ausgleichsabgabe, das heißt direkt vom Integrationsamt!
Wenn die schon selbst nicht in Vorleistung gehen wollen, warum können die dann  nicht über solche Projekte informieren, die sie auch noch selbst bezahlen? Noch nicht einmal dann wenn man konkret nachfragt, ob sie Alternativen kennen und mich diesbezüglich beraten können?

„Oh, ne, da ist ein Bürger mit einem Anliegen, nichts wie weg, wir sind nicht zuständig…“

Mann, Mann, Mann, Mann, Mann, Mann,…

Ich habe übrigens 5 Jahre damit mein Geld verdient, Sozialbehörden in der Umsetzung ihrer Aufgaben zu beraten. Doch so schlimm war ich denke ich dabei nicht, so viel schlechtes Karma kann ich durch eventuelle Fehler gar nicht erzeugt haben, um mich nun seit weiteren 5 Jahren derart mit diesen Behörden rumschlagen zu müssen.
Vielleicht sollte ich daraus einen neuen Beruf machen. Ich werde Behördentester. Ich stelle als verdeckter Ermittler Anträge bei allen möglichen Behörden und protokolliere, wie es mir dabei so ergeht. Die Ergebnisse verkaufe ich dann an die Behördenleitung oder die Politik…
Wenn es sie denn interessieren würde…

Ich habe mich in einem meiner Beratungsaufträge einmal mit einem mir sehr sympathischer Mitarbeiter meiner „Kunden-Behörde“ (die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit) über die Arbeit und den Frust in dieser Behörde unterhalten. Auf meine Frage, wie er damit umgehe, sagte er mir: „Ach wissen Sie, morgens wenn ich komme lege ich meinen Kopf am Eingang ab, selbständig denken ist hier ja nicht gefragt.“ „Na dann vergessen Sie bloß nicht, ihn wieder mitzunehmen, wenn Sie abends nach Hause gehen“, antwortete ich, „sonst klappt es bald gar nicht mehr mit dem Denken.“

Hallo liebe Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, weniger engagierte und frustrierte Mitarbeiter in Jobcentern und Sozialämtern (den ja noch vorhanden engagierten muss dies ja wohl nicht sagen). Ich weiß, dass Sie intern unter Druck stehen und nicht frei sind in Ihrem Handeln. Doch dennoch sollten Sie eines nicht aufgeben: Selber denken, sich einen guten Menschenverstand bewahren, dann klappt es auch mit dem Bürger, der etwas von Ihnen will!

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