Die Arbeitsagentur

Ich hatte in den letzten Jahren dreimal mit der Arbeitsagentur zu tun. Diese drei Kontakte waren völlig unterschiedlich, was eindeutig an den jeweils für mich zuständigen Vermittlerinnen und Vermittlern lag.

 

In der ersten Phase hatte ich die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen noch nicht. Dennoch hatte ich schon in dieser Zeit enorme Schwierigkeiten, vor dem Hintergrund meiner Erkrankung einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Ich hatte bei der Arbeitsagentur einen wirklich guten Vermittler, der alles versucht hat, was ihm möglich war. Nach einem Jahr sah er keine andere Chance mehr und empfahl mir, meine Erkrankung im Vorstellungsgespräch zu verschweigen.
Es klappte sofort mit der Vermittlung, doch ich wurde auch bei der ersten Konfrontation mit Tonerstaub erneut krank.
Ich wäre verpflichtet gewesen, meine Erkrankung vorher zu erwähnen und das Arbeitsverhältnis wurde deshalb sofort wieder beendet.

 

In der zweiten Phase hatte ich eine ältere Vermittlerin, die einfach nur noch emotionslos Dienst nach Vorschrift machte. Von ihr war nicht viel zu erwarten, weder Positives noch Negatives.
Ich war mittlerweile einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Auf meine Bitte bewilligte sie mir eine Begleitung und Beratung bei Bewerbungen und in der Vermittlung durch den Integrationsfachdienst (IFD). An sich wäre die Rentenversicherung dafür zuständig, mit der ich mich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Rechtsstreit befand. Sowohl die Vermittlerin als auch ich waren davon ausgegangen, dass die Arbeitsagentur mir die Begleitung durch den IFD als sogenannte „Vorleistung“ bewilligen könne.
Wenige Monate später hatte ich ja dann auch eine neue Stelle, wenn auch eine befristete Probebeschäftigung.

 

Nachdem diese dann gescheitert war meldete mich erneut bei der Arbeitsagentur. Ich wurde zunächst von einem älteren Vermittler eingeladen, mit dem ich die Gesamtsituation offen besprochen habe. Ich legte alles auf den Tisch, meine bisherigen Versuche in Arbeit zu kommen, meine Anträge an und mein Rechtsstreit mit der Rentenversicherung.
Weil es beim letzten Mal so gut geklappt hatte, bewilligte er mir sofort eine Begleitung durch den IFD als „Vorleistung“. Er wies darauf hin, dass ich eine andere Vermittlerin bekäme, weil er in Rente ginge, befristete die Begleitung durch den IFD deshalb auf zwei Monate und sagte, ab dann solle ich alles mit meiner neuen Vermittlerin klären.
Ich ging sofort zum IFD und begann mit dem zu arbeiten. Sowohl der Berater vom IFD als auch ich waren zuversichtlich, dass wir innerhalb von einem halben Jahr das Ziel einer neuen Anstellung erreichen könnten.

Zwei Monate später beantragte ich eine Verlängerung der Begleitung durch den IFD bei meiner neuen Vermittlerin und damit ging der Ärger los.

Sie lehnte eine Verlängerung ab. Die Maßnahme sei irrtümlich bewilligt worden. Eigentlich sei ja die Rentenversicherung zuständig und nach § 22 SGB III dürfe die Arbeitsagentur nicht tätig werden. Natürlich, die Begleitung durch den IFD sei genau das richtige für mich. Es täte ihr sehr leid, aber ihr seien die Hände gebunden.

Zu Hause las ich denn erst einmal nach, was im § 22 SGB III drin steht. Dabei fiel mir auf, dass es gleich dahinter einen § 23 gibt der überschrieben ist mit „Vorleistungspflicht der Arbeitsförderung“. Darin heißt es: „Solange und soweit eine vorrangige Stelle Leistungen nicht gewährt, sind Leistungen der aktiven Arbeitsförderung so zu erbringen, als wenn die Verpflichtung dieser Stelle nicht bestünde.“

Nanu, dachte ich, dann ist es ja wohl nicht nur so, dass die Arbeitsagentur – wie von mir angenommen – eine Unterstützung bei der Aufnahme einer Arbeit als „Vorleistung“ fördern und sich das Geld dann von der Rentenversicherung wiederholen kann. Anscheinend ist sie dazu sogar verpflichtet.
Ich legte daher gegen die Ablehnung Widerspruch ein.

Der Widerspruch wurde abgelehnt. Er sei nicht zulässig, weil gar kein rechtsmittelfähiger Bescheid vorläge, gegen den ich Widerspruch einlegen könne. Es hätte lediglich ein Beratungsgespräch stattgefunden.

Die Arbeitsagentur hat sich hier eine ganz perfide Taktik zugelegt. Über die Verlängerung der Maßnahme wird in einem Beratungstermin gesprochen. Den Antrag auf Verlängerung stellt man somit mündlich. Das Ergebnis des Gespräches wird dann in einer sogenannten „Eingliederungsvereinbarung“ festgehalten, die von beiden unterschrieben wird. Und tatsächlich gilt eine solche Vereinbarung nicht als Bescheid. Hiergegen kann kaum wirksam Widerspruch eingelegt werden.
Doch zum Glück kam mir dieses Vorgehen schon im Gespräch sehr merkwürdig vor. Warum sollte ich mit meiner Unterschrift bestätigen, dass die von mir beantragte Maßnahme beendet wird? Dann hätte ich dem ja zugestimmt. Daher habe ich instinktiv eine Unterschrift verweigert und damit richtig gehandelt.
Es sei allen, die in ähnlichen Situationen sind dringend empfohlen: Niemals eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben, die etwas enthält, mit dem man nicht einverstanden ist, insbesondere in der etwas zurückgewiesen wird, was man beantragt hat. Damit stimmt man der Ablehnung zu und hat keine Möglichkeit mehr, dagegen vorzugehen. Dies ist ein ganz mieser Trick der Arbeitsagenturen und Jobcenter, der – wie man Internetforen entnehmen kann – offensichtlich flächendeckend angewendet wird.

Ich fuhr von nun an zweigleisig. Zum einen stellte ich einen schriftlichen Antrag auf Verlängerung der Begleitung durch den IFD, um die Arbeitsagentur in ein formelles Verfahren zu zwingen, in dem sie mich nicht mehr mit derartigen Verfahrensfragen aushebeln konnte.
Zum anderen legte ich gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid Klage beim Sozialgericht ein und stellte wegen Dringlichkeit Antrag auf ein Eilverfahren.

Ich erhielt dann tatsächlich noch einen schriftlichen Bescheid, mit dem die Verlängerung der Begleitung durch den IFD abgelehnt wurde, gegen den ich dann erneut Widerspruch einlegte. Wenn dieser wiederum abgelehnt wird, könnte ich das Verfahren beim Sozialgericht um diese Ablehnung erweitern und es gäbe keine Möglichkeit mehr, über formale Fragen zu streiten. Es würde dann nur noch um eine Sachentscheidung gehen.
Nur, die Arbeitsagentur entschied nicht über meinen erneuten Widerspruch. Sie meinte, es sei ja nicht mehr notwendig. Ich musste einige Monate ins Land gehen lassen, bis ich eine Untätigkeitsklage einreichen konnte, über die ich dann erzwang, dass über meinen zweiten Widerspruch entschieden wurde. Als dann weitere Wochen später mein Widerspruch schriftlich abgelehnt wurde, konnte ich die Klage erweitern und die lästigen Verfahrensfragen, mit denen man mich aushebeln wollte, waren vom Tisch. Dies hat 8 Monate gedauert.

Kommen wir zum inhaltlichen Streit. Auch wenn im Hauptsacheverfahren noch keine Entscheidung des Sozialgerichts vorliegt, fand im Eilverfahren immerhin schon einmal eine gerichtliche Anhörung statt.
Die Arbeitsagentur versuchte, sich mit unterschiedlichsten Begründungen aus der Affäre zu ziehen. Erst wurde nochmals behauptet, dass die Vorleistungspflicht hier nicht gelte. Ich hätte sogenannte „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ nach dem SGB IX beantragt und da gelte die Vorleistungspflicht nicht. Dann wurde behauptet, man hätte mir gar keine „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ bewilligt, sondern Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III.
Ich habe daraufhin schriftlich die Fortführung der Begleitung durch den IFD als aktive Arbeitsförderung nach dem SGB III beantragt. Dies wurde dann von der Arbeitsagentur mit der Begründung abgelehnt, dass dies „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ nach dem SGB IX wären und sie nicht zuständig seien. Also was nun?

Tatsächlich ist es so, dass es sich bei der Begleitung durch den IFD um „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ nach dem SGB IX handelt. Hier wird die Vorleistungspflicht tatsächlich nicht angewendet. Aber nur, weil es eine für die Sozialversicherungsträger noch verbindlichere Regelung in § 14 SGB IX gibt.
In dieser Vorschrift ist zu lesen, dass ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe innerhalb von 2 Wochen an den zuständigen Sozialversicherungsträger Träger weiterzuleiten ist, wenn man selbst nicht zuständig ist. Leitet man nicht weiter oder bewilligt man die Leistung sogar selbst, begründet man damit eine eigene Zuständigkeit, die man nicht mehr zurückweisen darf.
Anders ausgedrückt: Grundsätzlich hat die Arbeitsagentur eine sogenannte Vorleistungspflicht. Nur bei „Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben“ besteht die Besonderheit, dass die Arbeitsagentur automatisch zuständig wird, wenn sie in Vorleistung geht, selbst dann, wenn dies irrtümlich erfolgt. Der Gesetzgeber wollte damit vermeiden, dass ein Antragsteller zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsträgern hin- und hergeschoben wird.
Schöne Intention des Gesetzgebers, nur folgt der in der Praxis niemand (siehe ‚Der schwarze Peter‚, ‚Noch einmal schwarzer Peter‚, ‚Schwarzer Peter verschärft‚).

Es ist somit ganz klar und eindeutig. Die Arbeitsagentur ist verpflichtet, die einmal begonnene Begleitung durch den IFD fortzusetzen und meine Vermittlung damit zu unterstützen. Und sie weiß dies ganz genau. Doch was macht sie stattdessen? Sie dreht und windet sich mit allen erdenklichen Tricks über nun schon 10 Monate, bis mein Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen ist und ich Hartz IV beantragen muss.

Unfussable

Und was macht das Sozialgericht? Es stellte zwar fest, hier der § 14 SGB IX grundsätzlich gelte, sah aber keine Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit gegeben. Es lehnte daher eine Entscheidung im Eilverfahren ab und verschob die Entscheidung in der Sache auf das Hauptsacheverfahren, in dem es aufgrund der Überlastung des Gerichts zwei Jahre dauern wird, bis es zu einem Verhandlungstermin kommt. Naja, 10 Monate sind schon um.

Unfussable

 

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