Die Reha beginnt

Anfang Dezember 2016.

„Ich fühl mich hier wie im Frauenknast“, sagt Lisa. Sie lacht, doch eigentlich ist sie ganz unsicher. Ihr Bild stimmt, wir gehen durch das Untergeschoss der Reha-Klinik und suchen die Labore für die Aufnahmeuntersuchungen, lange Flure, dunkelgrauer Fußboden, hellgraue Wände und Decke, Leuchtstoffröhren. Wir folgen den Gängen, rechts, links, am Ende wieder rechts, ganz durchgehen…

Später geht es den gleichen Weg zurück. Wir werden in einen Werkraum gebracht. Auf den Tischen liegen kleine Webrahmen. Dies ist die erste Stufe unserer gemeinsamen Maßnahme, wir sollen kleine Teppiche weben. An einer zweiten Tischgruppe im Raum werden Körbe geflochten.

Wir sind eine kleine, bunt zusammengewürfelte Gruppe. Eines haben wir gemeinsam, die Rentenversicherung hat uns zu einer sogenannten ‚Belastungserprobung‘ hierher geschickt.
In einem Punkt unterscheide ich mich von den anderen, ich bin nicht psychisch krank.
Die Rentenversicherung ignoriert meine umweltmedizinischen Diagnosen und behandelt mich, als wäre ich psychisch krank.

Während die Teppiche langsam Gestalt annehmen, bekommt jeder einen individuellen Ablaufplan für die nächsten sechs Wochen. Wir sollen mehrere Arbeitsbereiche durchlaufen. Ich soll in den Bürobereich, den Elektrobereich, den Holzbereich und die Hauswirtschaft.
Die Arbeitszeiten sind klar geregelt und werden genauestens eingehalten, 8:15 geht es los, 16:15 ist Feierabend, dazwischen 3 Pausen.

Die erste Woche im Bürobereich ist eine reine Testphase. Eine Woche lang bekommen wir einen Testbogen nach dem anderen, jeder nach seinem individuellen Tempo. Grundrechenarten, Konzentrationsübungen, logische Tests, ein wenig Allgemeinwissen, ein ganz klein wenig kaufmännisches Wissen. Nachdem alle Tests abgeschlossen sind, bekomme ich ein Lehrheft aus der kaufmännischen Ausbildung und soll die darin enthaltenen Aufgaben bearbeiten.

In den anderen Bereichen wiederholt sich dies in anderer Form. Im Elektrobereich werden Bauteile zusammen- und wieder auseinandergelötet, sortiert, Schaltpläne studiert, einfache Schaltungen hergestellt.

Im Holzbereich reicht die Spanne von Schleifarbeiten über den Bau von Vogelhäuschen bis zum selbständigen Entwurf von Gegenständen aus Holz.

In der Hauswirtschaft wird allein oder in kleinen Gruppen gekocht und gebacken. Die Küche ist im Vergleich mit den anderen Bereichen hektisch und laut. Es geht darum auszutesten, wie wir genau damit umgehen.

Mit meinem eigentlichen Beruf hat all das nichts zu tun. Wir werden nach einem festgelegten Schema getestet und bewertet, Erfassung der Aufgaben, Weiterentwicklung der Aufgaben, selbständige Arbeitsorganisation, logisches Denken, Konzentrationsfähigkeit, usw.
Nichts von dem führt mich an meine Grenzen. Auch dies unterscheidet mich von vielen der anderen Rehabilitanden.

Die Menschen, die hierher geschickt werden sind sehr unterschiedlich, mit unterschiedlichsten Schulabschlüssen und Berufserfahrungen. Junge Menschen am Anfang des Berufslebens, ältere Menschen kurz vor dessen Ende. Menschen ohne Ausbildung, mit Lehrberufen, einzelne Akademiker, gestandene Menschen mit jahrzehntelanger Berufserfahrung. Alle stehen vor existenziellen Fragen.

Die Ziele sind ebenso unterschiedlich wie die Menschen und ihre Geschichten. Ein Teil möchte in das Berufsleben zurückkehren, die meisten davon können nur in ihren Beruf nicht zurück. Ein anderer Teil kann und will nicht mehr arbeiten. Hier werden wir danach sortiert, wer er noch schaffen kann. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.

Ich sage, dass ich gerne in meinen Beruf zurückkehren möchte, dass ich gut bin in meinem Beruf und dass ich ihn mag. Ich sage, dass ich belastbar bin und dass ich meinen Beruf ausüben könnte, wenn ich ein Büro hätte, in dem keine Kopierer und Laserdrucker stehen.
Mit einem solchen Ziel stehe ich hier fast alleine da.

Später wird man mir sagen, dass dies unerreichbar sei. Es gäbe nun einmal überall diese Geräte.
Soll ich deswegen mein Ziel aufgeben, wieder in meinem Beruf zu arbeiten? Es muss doch auch ohne diese Geräte gehen.

Die Gespräche unter den Rehabilitanden drehen sich um Ängste, um Depressionen, um belastende Lebenssituationen. Die meisten bekommen Psychopharmaka und tauschen sich darüber aus, wie welches Mittel wirkt und welche Nebenwirkungen es hat.

Natürlich beschäftige auch ich mich mit existenziellen Fragen. Meine Toner-Unverträglichkeit hat mein Leben radikal verändert. Sie ist ein schroffer Bruch in meinem Lebenslauf, sie führt in finanzielle Nöte, sie grenzt mich aus.

Und doch erlebe ich meine Situation anders als die der anderen Rehabilitanden. Ich passe hier einfach nicht her und muss doch hier sein, wenn ich es nicht riskieren möchte, dass mir jegliche soziale Unterstützung gestrichen wird.

Ich nehme es an, wie es ist. Ich bin nun hier und es liegt auch an mir, was daraus entsteht. Mal sehen, was am Ende dabei herauskommt…

Ein Gedanke zu “Die Reha beginnt

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